FAVO 3 – where do we go

Immer wieder bin ich beim Hören eines neuen Albums (oder Konzertes) von FAVO 3 gleichermaßen verblüfft und begeistert! Verblüfft, wie mit minimaler Besetzung – Saxofon, Bassklarinette und Stimme – ein so großer Klang erzeugt werden kann. Begeistert bin ich vom emotionalen Tiefgang der Musik, von der intuitiven musikalischen Kommunikation der drei Musiker, von ihrer Spielfreude und dem musikantischen, nie vordergründigen aber enorm wirkungsvollen Spielwitz.

Für die Aufnahme des ersten FAVO-Albums, „FAVO-Riten“, gingen FAlk Breitkreuz und VOlker Schlott 2010 noch zu zweit ins Studio. Sie nutzten für den Spaziergang durch ihre Lieblings-Songs ausschließlich die Bassklarinette und das Sopransaxofon. Mit traumwandlerischem Gespür für eine Fingerabdruck-gleiche Klangästhetik verschmolzen sie den Sound der beiden Holzblasinstrumente so organisch, dass es in keinem Moment eines weiteren Instruments bedurfte. Auch Falk Breitkreuz und Volker Schlott fehlte für die Umsetzung ihrer Duo-Ideen absolut nichts! Dann lernten sie bei einem Workshop den belgischen Vokalisten Sander De Winne kennen. Die musikalische Seelenverwandtschaft wurde sofort offenkundig und Sander wurde 2012 eingeladen, als Gast am Album „Aloha Oe“ mitzuwirken. Kurze Zeit später komplettierte er das Duo zum Trio, was die Einzigartigkeit des FAVO-Sounds noch potenzierte.

„where do we go“ ist das fünfte FAVO-Album, das vierte mit Sander, nun als FAVO 3.

Falk Breitkreuz spielt Alt- und Bass-Klarinette, Volker Holly Schlott Sopran- und C-Melody-Saxofon und Flöte, Sander De Winne setzt seine Stimme vielschichtig ein.

Wieder stehen Eigenkompositionen neben (weniger gewordenen) Bearbeitungen von Stücken anderer Komponisten. Den das Album eröffnenden Titelsong haben sich die drei bei Bill Frisell geliehen, der ihn 2020 auf seinem Album „Valentine“ als Instrumental veröffentlichte. Sander De Winne schrieb einen Text dazu, der gleich zu Beginn deutlich macht, dass die Musik von FAVO 3 mehr ist als Musik um ihrer selbst Willen. Sie ist Reflexion des Suchens und Findens im Innen wie im Außen. Wo ist der Platz im eigenen Leben, wo in der Welt? Exemplarisch dafür steht auch eine Komposition von Hanns Eisler zu einem Text von Bertolt Brecht: „An den kleinen Radioapparat“. Das Stück entstand 1942 – Eisler und Brecht lebten im Exil in den USA. Sie hatten das nationalsozialistische Deutschland verlassen müssen, aber durch das Radio konnten – wie es im Text heißt – die alten Feinde noch zu ihnen sprechen. Auch heute sind Millionen Menschen auf der Flucht vor Kriegen, rassistischen Übergriffen, religiöser Diskriminierung und Hungersnöten. Vielleicht ist auch für sie der Radioapparat (heute wohl eher das Internet) die einzige Verbindung in die Heimat. Sander De Winne singt – in Brecht’scher Manier – sowohl den englischen als auch den deutschen Text, was ihm eine globale Dimension gibt.

Jeder Song erzählt – verbal und nonverbal – eine eigene Geschichte. Es sind fröhliche und melancholische Geschichten. Mal tanzen die drei Stimmen mit- und umeinander wie z.B. in „Africanon“ oder „Happy Day Off“, in dem die Bassklarinette fast wie ein Didgeridoo klingt. An anderer Stelle – z.B. bei „Goldfinger“, dem James-Bond-Song von John Berry – werden die Zuhörenden geradezu entschleunigt. Hier wird der Song-Text, den man von Shirley Bassey im Kopf hat, bewusst nicht gesungen. Stattdessen wird die Stimme zum dritten Instrument, das wie eine gedämpfte Trompete klingend gemeinsam mit dem Saxofon die von der Bassklarinette harmonisch ausgelegte Klangspur umspielt.

Mit dem letzten Stück des gut 37 Minuten kurzen Albums wird ein musikalischer und gedanklicher Bogen zu seinem Anfang geschlagen. Volker Holly Schlott komponierte den „Song For My Family“, zu dem Sander De Winne den Text schrieb. Wieder geht es um das Sich-Selbst-Suchen und Finden, um das offene, ehrliche Miteinander-Sprechen, das gegenseitige Zuhören, um Offenheit und Toleranz. Es ist das mich am meisten berührende Stück dieses FAVO 3 – Albums, das in einer Zeit, die täglich von Schreckensmeldungen geprägt ist, für jeden Menschen, der nicht am Alltag verzweifeln will, mit höchstem künstlerischen Anspruch für Momente der Besinnung und Nachdenklichkeit, aber auch für Momente voller Heiterkeit und Zuversicht sorgt.

www.volker-schlott.de
www.falkbreitkreuz.de

(November 2024)

R.I.P. Ernst-Ludwig „Luten“ Petrowsky (10. Dezember 1933 – 10. Juli 2023)

Auf vielen Plattformen gab es in der vergangenen Woche Nachrufe auf Ernst-Ludwig „Luten“ Petrowsky. Alle würdigten seine Persönlichkeit und sein nicht zu überschätzendes Wirken für den Jazz. In der DDR und in der Welt. Ich brauchte ein paar Tage, um meine persönlichen Erinnerungen an Luten formulieren zu können.
Am 10. Juli, morgens gegen 9:00 Uhr, waren meine Gedanken bei Luten. Mich trieb die Frage um, wie es ihm gehen mag. Am 24. Januar dieses Jahres hatte ich ihn zusammen mit seiner Frau, Uschi Brüning, ein letztes Mal im Pflegeheim besucht. Es war ein deprimierender Anblick, ihn in seinem Bett liegen zu sehen – ohne Reaktionen auf Worte oder Blicke. Nach einer Stunde saß ich wieder in meinem Auto und war nur traurig.
Seither hatte ich oft mit Uschi gesprochen, deren Gemütszustand stets zwischen Verzweiflung und Hoffnung schwankte, wissend, dass ihre Hoffnung auf das, was sie sich sehnlichst wünschte, eine leere war. Aber ohne Hoffnung ist der Mensch verloren…
Am 10. Juli, 11:23 Uhr, auf dem Mobiltelefon die Nachricht von Uschi: „Luten ist 10:45 Uhr gegangen.“ Das Ende der Hoffnung.

Schon als Teenager war mir der Name Luten Petrowsky ein Begriff. Mein Vater sprach häufig über ihn und seine Bedeutung für den zeitgenössischen Jazz in der DDR. Gelegentlich besuchte ich Konzerte von Synopsis, dem Petrowsky Trio und Quartett, der Ulrich Gumpert Workshop Band. Es brauchte Jahre, bis ich mir diese „freie Musik“ erschließen konnte, bis ich Zugang zu ihr bekam, bis ich Hörvergnügen an ihr fand.
Besonders bemerkenswert an Luten fand ich, dass er – obwohl stets an vorderster „Free-Front“ kämpfend – gute Musik auch links und rechts neben dem Free Jazz wertschätzte (und spielte).
Luten hat auf der Bühne auch gern und (manchmal sehr) viel geredet. Seine oft dialektisch ausgefeilten Statements waren (auf norddeutsche Art) humorvoll, aber nie belanglos. „Luten“ hatte eine Botschaft, die über die Musik hinausging. Wenn ihm (ideologische) Haltungen gegen den Strich gingen, zog er auf offener Bühne den Wort-Dolch aus dem Saxofon-Koffer. Und traf mit ihm auch dort, wo es wehtat.
Ja, Luten hat gern geredet, aber hielt nicht gern Reden. An eine erinnere ich mich aber sehr lebhaft. Er hielt sie Anfang März 1989 als Mitglied der „Sektion Jazz“ beim Komitee für Unterhaltungskunst auf dem „Kongress für Unterhaltungskunst der DDR“. Hier kann man sie nach-hören …

Es ließe sich über fast unzählige, den Globus umspannende und auf vielen Tonträgern und in Rundfunk-Konzert-Mitschnitten festgehaltene musikalische Begegnungen von Luten Petrowsky schreiben.
Eine möchte ich aber herausheben: Das Duo mit Uschi Brüning, das es nicht nur auf der Bühne gab, sondern über 40 Jahre lang vor allem im privaten Leben. Beide waren seit ihrer gemeinsamen Zeit in der Band von Klaus Lenz ohne einander kaum vorstellbar. Luten bewunderte Uschis Stimme und Ausstrahlung und wurde ihr musikalischer Mentor. Bis 2017, als Luten zum Pflegefall wurde, brachten sie sich als Duo in unterschiedliche Kontexte ein. Sie standen mit Big Bands auf der Bühne, mit dem Hammond B3-Projekt von Ulrich Gumpert, der Band Enfant, Manfred Krug, Wiglaf Droste oder mit Engerling.

Das enge Miteinander der beiden konnte ich hautnah erleben, als sie im Frühjahr 2013 im rbb-Studio waren, um gemeinsam mit dem Schlagzeuger Michael Grüner als Gast für das Label Jazzwerkstatt das zu einer Art musikalischem Vermächtnis gewordene Album „Ein Résumé“ aufzunehmen. Luten war gesundheitlich bereits angeschlagen, konnte kaum noch im Stehen spielen. Uschi umsorgte ihn in den Aufnahmepausen.

Luten Petrowsky im RBB-Studio

Heute bin ich ziemlich sicher, beide ahnten damals, dass dies ihre letzten gemeinsamen Aufnahmen werden. Sie nahmen sich Zeit, feilten an Details, Luten setzte sich – was ich bis dahin nie erlebt hatte – auch an den Flügel. In Aufnahmepausen manchmal auch ganz allein. In diesen Momenten schien er ganz bei sich zu sein und eine besondere Art Melancholie verbreitete sich im Aufnahmestudio. Keine Traurigkeit, wirklich Melancholie. Einer dieser Momente, in denen Uschi und Luten im Miteinander versunken waren, konnte im Ornette Coleman-Klassiker „Lonely Woman“ festgehalten werden.

Obwohl man den Mecklenburgern bekanntlich einige Sturheit nachsagt, was gewiss auch auf Luten zutraf, war er in der Lage, auf Menschen wieder zuzugehen, mit denen er sich überworfen hatte. Mein Vater war einer von diesen Menschen. Aufgrund übler Nachreden, denen sich mein Vater nach dem Fall der Mauer ausgesetzt sah und denen Luten auf den Leim gegangen war, brach er den Kontakt ab. Aber er hatte die Größe, sich zu entschuldigen, als alle Gerüchte aus der Welt geräumt werden konnten. Diese Geste von Luten war für meinen Vater fast wichtiger als die Rehabilitation an sich. Deshalb erfüllte es meinen Vater mit kaum zu beschreibender Freude, dass Luten 2011 für unser gemeinsames Buch „Zwischen den Strömungen – Karlheinz Drechsel – Mein Leben mit dem Jazz“ (Jazzwerkstatt) diese Gedanken beisteuerte:

Lieber Karlheinz!
Möglicherweise „untertreibe“ ich noch, wenn ich sage: Du hast mich in unmittelbarer Nähe meiner nunmehr 55-jährigen Zeit als sogenannter „Profi-Jazz-Musiker“ – das heißt: seit den 1950er Jahren – begleitet. In jeder Form der Organisation und Präsentation von Jazz, ob Konzert oder Radio-, später auch Fernseh-Sendung, ob Presse-Rezension oder Feuilleton-Betrachtung oder „Hüllentext“ zu Schallplatten – heute radebrechen wir: „Liner Notes für Tonträger“ – bis hin zu Deinem legendären Bildband „FASZINATION JAZZ“ aus dem Jahre 1974 im Verlag „Lied der Zeit“ warst Du unermüdlich unterwegs. Gleichermaßen am Schreibtisch, auf der Bühne oder vor dem Radio-Mikrofon. Du warst und bist in und auch nach den sogenannten „Ostzeiten“ der kompetenteste und lebendigste Musikanten-Freund und Helfershelfer in Bezug auf historisches und fachliches Hintergrundwissen gleichermaßen wie in unmittelbarer – großes „feeling“ verratender – verbaler Artikulationsnähe gegenüber dem Phänomen Jazz ein – man darf sagen – familiärer Freund der Musikanten in wirklich einmaliger und auch weltläufiger Dimension. Das alles spricht von einer tiefen, enthusiastischen Liebe zu dieser öffentlich noch immer falsch verstandenen, einmalig lebendig-kreativen Musik, schnöde genannt: JAZZ.

Dazu als stellvertretendes Beispiel: Deine Liner Notes zur AMIGA-LP (Langspielplatte) „Jazz mit Dorothy Ellison und dem Manfred-Ludwig-Sextett“ aus dem Jahre 1963 – der Band aus dem OSCAR-geadelten Film „DAS LEBEN DER ANDEREN“, die im Jahre 2005 als CD-Album in Ulli Blobels Jazz-Label ITM wieder auferstand.

Ich freue mich sehr, lieber Karlheinz, bei dieser „Ein Leben für den Jazz“ – Gelegenheit ein aller herzlichstes, Glück wünschendes DANKE – auch im Namen von Uschi und ebenso an Deine „Sohnemann-Ulf-Fortsetzung“ mit jungen Mitteln (wer hat heutzutage noch so was?) – „rüber shouten“ zu dürfen!

Dein Luten

bzw. in aller öffentlichen Form: Hochachtungsvoll, Ernst-Ludwig Petrowsky

Luten Petrowsky & Karlheinz Drechsel live auf der Bühne

Nun ist Luten nicht mehr unter uns. Er hat sich für immer verabschiedet und ist als Mensch nicht zu ersetzen. Aber er schenkt uns einen gewaltigen musikalischen Nachlass und ein künstlerisches Ethos, das auch künftigen Jazz-Generationen gut zu Gesicht stehen würde!

Magro-Foto-2©DanielWetzel

MAGRO Album Release Show „II“ (Two)

27. August // 21:15 @ RAW+ Festival, Badehaus

featuring Rapturous, Leona Berlin, Igor Osypov, Joschke Oßke und Francesco Beccaro

Bis vor wenigen Monaten war mir der Name MAGRO überhaupt kein Begriff.
Als Mitglied der Jury für den Deutschen Jazzpreis 2022 hörte ich dann sein Debüt-Album „Trippin“ und war ziemlich geflasht. Jazz, Hip Hop, R&B. All das verbindet Drummer und Produzent MAGRO, der eigentlich Mathis Grossmann heißt, in der souveränen Verquickung von Live-Sounds und Post-Production auf bemerkenswertem künstlerischen Level. So wie mir ging es auch den meisten anderen Jurymitgliedern, sodass schnell feststand, der Deutsche Jazzpreis 2022 geht in der Kategorie „Debüt-Album des Jahres“ an MAGRO für „Trippin“. Komplexe Sound- und Groove-Strukturen kommen völlig relaxed daher, was mich als erstes an Produktionen von Makaya McCraven erinnerte.

Dieser Tage veröffentlicht MAGRO auf dem X-Jazz-Label nun das Nachfolge-Album, schlicht „II“ (Two) betitelt.

Das war der Anlass, mich mit MAGRO zum Talk zu verabreden. Am 10. August saßen wir bei schönstem Wetter in einem Friedrichshainer Straßencafé und sprachen – nicht ganz ungestört von großstädtischer Geräuschkulisse – über MAGROS musikalisches Elternhaus, seine frühen „Begegnungen“ mit der Musik der Beatles, Santana, George Duke, Art Blakey….. über sein Studium in Mainz, darüber, was man an der Uni lernt und nicht lernt. Wir sprachen über MAGROS in den USA gemachten Erfahrungen, über Förderstrukturen dies- und jenseits des Atlantik, über seine Produktions-Philosophie, schnelle künstlerische Entscheidungen und den Wunsch, unabhängige künstlerische Entscheidungen treffen zu können. MAGRO spricht über die Verantwortung von Labels und Radioprogrammen, über Impulse, die er von Herbie Hancock, Kendrik Lamar, Chris Dave und Robert Glasper bekam, dass akustisch gespielte Musik eine wichtige Basis für seine Arbeit als Produzent ist und dass er mit dem neuen Album einen anderen künstlerischen Ansatz hatte als bei „Trippin“. Die Stücke haben stärkeren Song-Charakter (es wird mehr gesungen, auch wieder von Leona Berlin!) und sollen dadurch auch ein weniger Jazz-affines Publikum erreichen, das dann im Konzert die Musik des Albums in zum Teil komplexerer Art präsentiert bekommt.
Das will ich unbedingt erleben und werde mir das Record-Release-Konzert am 27. August im Rahmen des RAW+ Festivals nicht entgehen lassen!

 

SPOTIFY-Album-Link „Trippin’“ 2021https://open.spotify.com/album/3oNOlHAJQnZ1am63v8frE6?si=ut8GkHNMTVGL_nqc6rjiNA

SPOTIFY-Single-Link „Never Let You Down“ (feat. Leona Berlin) 2022

SPOTIFY-Single-Link „Flow“ (feat. BIGYUKI) 2022

Link zum RAW + Festival

https://www.rawplusfestival.de

Link zur MAGRO-Homepage

https://magromusic.com

Rolf-Kuehn-und-Ulf-Drechsel,-2019_C_Carsten-Kampf

R.I.P. Rolf Kühn (29. September 1929 – 18. August 2022)

Wenn ein Mensch ein so hohes Alter erreicht, muss man immer damit rechnen, dass der letzte Atemzug naht. Die Nachricht, dass dieser letzte Atemzug tatsächlich getan wurde, löst dennoch eine Art Schockstarre aus. Man glaubt es nicht, ich wollte es nicht glauben. Aber es ist Realität: Der Klarinettist Rolf Kühn ist tot. Er atmet nicht mehr, er spielt nie mehr auf „seiner Geliebten“, deren Zuneigung er sich jeden Tag aufs Neue erwerben musste.

Im Juni trafen wir uns auf der Geburtstagsparty vom TIPI am Kanzleramt und sprachen auch über den Tod. Anfang Juli telefonierten wir noch einmal. Ich erzählte ihm von einem runden Dutzend, 1965 im Sender Leipzig gemachten Aufnahmen, die ich beim Durchforsten des Nachlasses meines Vaters im Keller entdeckt hatte. Es waren Aufnahmen vom Rolf Kühn Quartett mit Joachim Kühn, Klaus Koch und Reinhard Schwarz und Aufnahmen mit Rolf Kühn als Solist mit Rhythmusgruppe und Streichern. Rolf erinnerte sich genau an die Situation damals im Studio, war geradezu „elektrisiert“ und wir wollten die Produktionen unbedingt gemeinsam bei einem Glas Rotwein hören. Dazu kam es nicht mehr.

Ich habe keinen anderen Musiker wie Rolf Kühn kennengelernt. Keinen, der so freundlich, charmant und mit so vielfältigen Interessen gesegnet war wie er. Man sah ihn – stets gemeinsam mit seiner Frau Melanie – im Theater, im Kino, in Ausstellungen, bei Lesungen. Immer wieder natürlich auch in Konzerten von Kolleginnen und Kollegen, für deren Arbeit er sich interessierte. Egal, ob sie aus New York oder aus Hamburg kamen, ob sie Avantgarde-Jazz spielten, Chansons sangen oder auf der Musical-Bühne standen. Rolf Kühn wollte wissen, was um ihn herum passiert. Er hat sich nie mit sich selbst begnügt und er hat sich seine jugendliche Neugier bis zuletzt bewahrt. Das hielt ihn jung auch im hohen Alter und ließ ihn zeitlebens nach vorn blicken, Pläne schmieden, Projekte aushecken. Sein Terminkalender für die nächsten Monate war gut gefüllt. Er sah Konzerten entgegen mit seinem Quartett und mit seinem Bruder Joachim.

Rund 75 Jahre stand Rolf Kühn auf der Bühne. Die Musikwelt verliert einen zeitlebens bescheiden gebliebenen Weltstar, der Vielen zum Freund geworden war.

 

Erklärungen zu Bildern und Soundfile:

  1. Ein Gespräch, das ich am 29. September 2019, an Rolf Kühns 90. Geburtstag, mit ihm für die rbbKultur-Sendung LATE NIGHT JAZZ führte. (Die Musikstücke wurden aus rechtlichen Gründen gekürzt.)
  2. Beschriftungen von Rundfunk-Archivbändern
  3. Das Plattencover der 1964 aufgenommenen AMIGA-LP „Solarius“
  4. Noten-Publikation der „Solarius“-LP im Verlag „VEB LIED DER ZEIT“
  5. Das 2009 in der edition jazzgorillas / german jazz erschienene Buch „Clarinet Bird“ von Maxi Sickert
  6. Foto Rolf Kühn & Ulf Drechsel; C: Carsten Kampf
Ulf in der Ecke

Nach knapp 35 Radio-Jahren werfe ich den Hut in den Jazz-Ring und sage „Auf Wiederhören“

Ja, ich höre auf, übergebe meine Sendung LATE NIGHT JAZZ an andere Autorinnen und Autoren.
Aus eigenem Willen und ohne Groll.
Es ist doch besser, wenn Hörerinnen und Hörer, Musikerinnen und Musiker, Veranstalterinnen und Veranstalter, Promoterinnen und Promoter und noch ein paar andere Menschen sagen: „Eigentlich schade, dass er aufhört“, als würden sie hinter meinem Rücken tuscheln und fragen: „Wann hört er nun endlich auf?“
Ich höre auf, obwohl es noch immer Spaß macht, am Mikrofon zu sitzen, mit Menschen über ihre Ideen und Gedanken zu sprechen, meine Begeisterung für Musik in die Welt zu tragen und vielleicht sogar mit dem „imaginären Gegenüber“ zu teilen.
Ich höre auf, wöchentlich mehrere Radiosendungen zu gestalten, aber ich höre nicht auf, gute Musik zu hören und werde auch künftig die Freude daran nicht für mich behalten.
Es ist kein Ausstieg von Hundert auf Null, von Jetzt auf Gleich..
Eine Zeitlang werde ich mich bei rbbKultur als freier Mitarbeiter noch um Konzertmitschnitte, um die Vergabe des Jazzpreises Berlin und um den Radio-Part beim Jazzfest Berlin kümmern.
Auf dieser Website werde ich mich ab Mai zu Wort melden. Über Jazz und das ganze Drumherum will ich schreiben. Über Musik und Musiker. Über den guten Ton und die Blue Notes des Lebens.
Wenn es wieder möglich ist, werde ich auch nicht davor zurückschrecken, ab und zu auf der Bühne ein Moderationsmikrofon in die Hand zu nehmen.
Im „Ortsverein Grünau“ werde ich mich aktiv einbringen, Jazz- und Blues-Konzerte organisieren, vielleicht eröffnen wir in Grünau ein kleines Jazz Café. Wer weiß.
Alles kann, nichts muss. Luxus pur!
Dieses Privileg will ich genießen und schätzen, wie ich das Privileg geschätzt und genossen habe, knapp 35 Jahre lang eine Arbeit machen zu können, mit der ich meine persönlichen Neigungen und Interessen zum Beruf machen konnte.
Nicht reibungslos, nicht ohne Kämpfe, nicht ohne Schrammen und Narben. Aber die Kämpfe haben sich gelohnt, obwohl man als Jazzredakteur auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht auf Rosen gebettet wird. Mein Rosenbett war und bleibt die Musik, waren und bleiben die Menschen, Freundinnen und Freunde, mit denen ich den Weg gemeinsam gegangen bin und hoffentlich noch ein Weilchen gemeinsam werde gehen können.

Aber heute Abend ist meine vorerst letzte LATE NIGHT JAZZ-Sendung zu hören, für die ich in Erinnerungen gekramt und diese auf eine knappe Radio-Stunde eingedampft habe.

Unter diesem Link kann man sie hören. Schon jetzt und noch bis zum 1. Mai.

Natürlich habe ich ganz und gar nichts dagegen, falls jemand den Link weiterleiten möchte…..

Wir bleiben in Verbindung. Nicht nur die Musik wird dafür sorgen….

Bis bald, Ulf

Almut Schlichting & Ulf Drechsel

Insomnia Brass Band

Wer spät abends in der Küche noch ein bisschen tanzen möchte, legt sich am besten das aktuelle Album der Insomnia Brass Band in den CD-Player.
Oder erstmal – quasi zum Probe-Tanzen – am 13. Dezember 2021 LATE NIGHT JAZZ auf rbbKultur hören.

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