R.I.P. Ernst-Ludwig „Luten“ Petrowsky (10. Dezember 1933 – 10. Juli 2023)
Auf vielen Plattformen gab es in der vergangenen Woche Nachrufe auf Ernst-Ludwig „Luten“ Petrowsky. Alle würdigten seine Persönlichkeit und sein nicht zu überschätzendes Wirken für den Jazz. In der DDR und in der Welt. Ich brauchte ein paar Tage, um meine persönlichen Erinnerungen an Luten formulieren zu können.
Am 10. Juli, morgens gegen 9:00 Uhr, waren meine Gedanken bei Luten. Mich trieb die Frage um, wie es ihm gehen mag. Am 24. Januar dieses Jahres hatte ich ihn zusammen mit seiner Frau, Uschi Brüning, ein letztes Mal im Pflegeheim besucht. Es war ein deprimierender Anblick, ihn in seinem Bett liegen zu sehen – ohne Reaktionen auf Worte oder Blicke. Nach einer Stunde saß ich wieder in meinem Auto und war nur traurig.
Seither hatte ich oft mit Uschi gesprochen, deren Gemütszustand stets zwischen Verzweiflung und Hoffnung schwankte, wissend, dass ihre Hoffnung auf das, was sie sich sehnlichst wünschte, eine leere war. Aber ohne Hoffnung ist der Mensch verloren…
Am 10. Juli, 11:23 Uhr, auf dem Mobiltelefon die Nachricht von Uschi: „Luten ist 10:45 Uhr gegangen.“ Das Ende der Hoffnung.
Schon als Teenager war mir der Name Luten Petrowsky ein Begriff. Mein Vater sprach häufig über ihn und seine Bedeutung für den zeitgenössischen Jazz in der DDR. Gelegentlich besuchte ich Konzerte von Synopsis, dem Petrowsky Trio und Quartett, der Ulrich Gumpert Workshop Band. Es brauchte Jahre, bis ich mir diese „freie Musik“ erschließen konnte, bis ich Zugang zu ihr bekam, bis ich Hörvergnügen an ihr fand.
Besonders bemerkenswert an Luten fand ich, dass er – obwohl stets an vorderster „Free-Front“ kämpfend – gute Musik auch links und rechts neben dem Free Jazz wertschätzte (und spielte).
Luten hat auf der Bühne auch gern und (manchmal sehr) viel geredet. Seine oft dialektisch ausgefeilten Statements waren (auf norddeutsche Art) humorvoll, aber nie belanglos. „Luten“ hatte eine Botschaft, die über die Musik hinausging. Wenn ihm (ideologische) Haltungen gegen den Strich gingen, zog er auf offener Bühne den Wort-Dolch aus dem Saxofon-Koffer. Und traf mit ihm auch dort, wo es wehtat.
Ja, Luten hat gern geredet, aber hielt nicht gern Reden. An eine erinnere ich mich aber sehr lebhaft. Er hielt sie Anfang März 1989 als Mitglied der „Sektion Jazz“ beim Komitee für Unterhaltungskunst auf dem „Kongress für Unterhaltungskunst der DDR“. Hier kann man sie nach-hören …
Es ließe sich über fast unzählige, den Globus umspannende und auf vielen Tonträgern und in Rundfunk-Konzert-Mitschnitten festgehaltene musikalische Begegnungen von Luten Petrowsky schreiben.
Eine möchte ich aber herausheben: Das Duo mit Uschi Brüning, das es nicht nur auf der Bühne gab, sondern über 40 Jahre lang vor allem im privaten Leben. Beide waren seit ihrer gemeinsamen Zeit in der Band von Klaus Lenz ohne einander kaum vorstellbar. Luten bewunderte Uschis Stimme und Ausstrahlung und wurde ihr musikalischer Mentor. Bis 2017, als Luten zum Pflegefall wurde, brachten sie sich als Duo in unterschiedliche Kontexte ein. Sie standen mit Big Bands auf der Bühne, mit dem Hammond B3-Projekt von Ulrich Gumpert, der Band Enfant, Manfred Krug, Wiglaf Droste oder mit Engerling.
Das enge Miteinander der beiden konnte ich hautnah erleben, als sie im Frühjahr 2013 im rbb-Studio waren, um gemeinsam mit dem Schlagzeuger Michael Grüner als Gast für das Label Jazzwerkstatt das zu einer Art musikalischem Vermächtnis gewordene Album „Ein Résumé“ aufzunehmen. Luten war gesundheitlich bereits angeschlagen, konnte kaum noch im Stehen spielen. Uschi umsorgte ihn in den Aufnahmepausen.
Heute bin ich ziemlich sicher, beide ahnten damals, dass dies ihre letzten gemeinsamen Aufnahmen werden. Sie nahmen sich Zeit, feilten an Details, Luten setzte sich – was ich bis dahin nie erlebt hatte – auch an den Flügel. In Aufnahmepausen manchmal auch ganz allein. In diesen Momenten schien er ganz bei sich zu sein und eine besondere Art Melancholie verbreitete sich im Aufnahmestudio. Keine Traurigkeit, wirklich Melancholie. Einer dieser Momente, in denen Uschi und Luten im Miteinander versunken waren, konnte im Ornette Coleman-Klassiker „Lonely Woman“ festgehalten werden.
Obwohl man den Mecklenburgern bekanntlich einige Sturheit nachsagt, was gewiss auch auf Luten zutraf, war er in der Lage, auf Menschen wieder zuzugehen, mit denen er sich überworfen hatte. Mein Vater war einer von diesen Menschen. Aufgrund übler Nachreden, denen sich mein Vater nach dem Fall der Mauer ausgesetzt sah und denen Luten auf den Leim gegangen war, brach er den Kontakt ab. Aber er hatte die Größe, sich zu entschuldigen, als alle Gerüchte aus der Welt geräumt werden konnten. Diese Geste von Luten war für meinen Vater fast wichtiger als die Rehabilitation an sich. Deshalb erfüllte es meinen Vater mit kaum zu beschreibender Freude, dass Luten 2011 für unser gemeinsames Buch „Zwischen den Strömungen – Karlheinz Drechsel – Mein Leben mit dem Jazz“ (Jazzwerkstatt) diese Gedanken beisteuerte:
Lieber Karlheinz!
Möglicherweise „untertreibe“ ich noch, wenn ich sage: Du hast mich in unmittelbarer Nähe meiner nunmehr 55-jährigen Zeit als sogenannter „Profi-Jazz-Musiker“ – das heißt: seit den 1950er Jahren – begleitet. In jeder Form der Organisation und Präsentation von Jazz, ob Konzert oder Radio-, später auch Fernseh-Sendung, ob Presse-Rezension oder Feuilleton-Betrachtung oder „Hüllentext“ zu Schallplatten – heute radebrechen wir: „Liner Notes für Tonträger“ – bis hin zu Deinem legendären Bildband „FASZINATION JAZZ“ aus dem Jahre 1974 im Verlag „Lied der Zeit“ warst Du unermüdlich unterwegs. Gleichermaßen am Schreibtisch, auf der Bühne oder vor dem Radio-Mikrofon. Du warst und bist in und auch nach den sogenannten „Ostzeiten“ der kompetenteste und lebendigste Musikanten-Freund und Helfershelfer in Bezug auf historisches und fachliches Hintergrundwissen gleichermaßen wie in unmittelbarer – großes „feeling“ verratender – verbaler Artikulationsnähe gegenüber dem Phänomen Jazz ein – man darf sagen – familiärer Freund der Musikanten in wirklich einmaliger und auch weltläufiger Dimension. Das alles spricht von einer tiefen, enthusiastischen Liebe zu dieser öffentlich noch immer falsch verstandenen, einmalig lebendig-kreativen Musik, schnöde genannt: JAZZ.
Dazu als stellvertretendes Beispiel: Deine Liner Notes zur AMIGA-LP (Langspielplatte) „Jazz mit Dorothy Ellison und dem Manfred-Ludwig-Sextett“ aus dem Jahre 1963 – der Band aus dem OSCAR-geadelten Film „DAS LEBEN DER ANDEREN“, die im Jahre 2005 als CD-Album in Ulli Blobels Jazz-Label ITM wieder auferstand.
Ich freue mich sehr, lieber Karlheinz, bei dieser „Ein Leben für den Jazz“ – Gelegenheit ein aller herzlichstes, Glück wünschendes DANKE – auch im Namen von Uschi und ebenso an Deine „Sohnemann-Ulf-Fortsetzung“ mit jungen Mitteln (wer hat heutzutage noch so was?) – „rüber shouten“ zu dürfen!
Dein Luten
bzw. in aller öffentlichen Form: Hochachtungsvoll, Ernst-Ludwig Petrowsky
Nun ist Luten nicht mehr unter uns. Er hat sich für immer verabschiedet und ist als Mensch nicht zu ersetzen. Aber er schenkt uns einen gewaltigen musikalischen Nachlass und ein künstlerisches Ethos, das auch künftigen Jazz-Generationen gut zu Gesicht stehen würde!