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R.I.P. Rolf Kühn (29. September 1929 – 18. August 2022)

Wenn ein Mensch ein so hohes Alter erreicht, muss man immer damit rechnen, dass der letzte Atemzug naht. Die Nachricht, dass dieser letzte Atemzug tatsächlich getan wurde, löst dennoch eine Art Schockstarre aus. Man glaubt es nicht, ich wollte es nicht glauben. Aber es ist Realität: Der Klarinettist Rolf Kühn ist tot. Er atmet nicht mehr, er spielt nie mehr auf „seiner Geliebten“, deren Zuneigung er sich jeden Tag aufs Neue erwerben musste.

Im Juni trafen wir uns auf der Geburtstagsparty vom TIPI am Kanzleramt und sprachen auch über den Tod. Anfang Juli telefonierten wir noch einmal. Ich erzählte ihm von einem runden Dutzend, 1965 im Sender Leipzig gemachten Aufnahmen, die ich beim Durchforsten des Nachlasses meines Vaters im Keller entdeckt hatte. Es waren Aufnahmen vom Rolf Kühn Quartett mit Joachim Kühn, Klaus Koch und Reinhard Schwarz und Aufnahmen mit Rolf Kühn als Solist mit Rhythmusgruppe und Streichern. Rolf erinnerte sich genau an die Situation damals im Studio, war geradezu „elektrisiert“ und wir wollten die Produktionen unbedingt gemeinsam bei einem Glas Rotwein hören. Dazu kam es nicht mehr.

Ich habe keinen anderen Musiker wie Rolf Kühn kennengelernt. Keinen, der so freundlich, charmant und mit so vielfältigen Interessen gesegnet war wie er. Man sah ihn – stets gemeinsam mit seiner Frau Melanie – im Theater, im Kino, in Ausstellungen, bei Lesungen. Immer wieder natürlich auch in Konzerten von Kolleginnen und Kollegen, für deren Arbeit er sich interessierte. Egal, ob sie aus New York oder aus Hamburg kamen, ob sie Avantgarde-Jazz spielten, Chansons sangen oder auf der Musical-Bühne standen. Rolf Kühn wollte wissen, was um ihn herum passiert. Er hat sich nie mit sich selbst begnügt und er hat sich seine jugendliche Neugier bis zuletzt bewahrt. Das hielt ihn jung auch im hohen Alter und ließ ihn zeitlebens nach vorn blicken, Pläne schmieden, Projekte aushecken. Sein Terminkalender für die nächsten Monate war gut gefüllt. Er sah Konzerten entgegen mit seinem Quartett und mit seinem Bruder Joachim.

Rund 75 Jahre stand Rolf Kühn auf der Bühne. Die Musikwelt verliert einen zeitlebens bescheiden gebliebenen Weltstar, der Vielen zum Freund geworden war.

 

Erklärungen zu Bildern und Soundfile:

  1. Ein Gespräch, das ich am 29. September 2019, an Rolf Kühns 90. Geburtstag, mit ihm für die rbbKultur-Sendung LATE NIGHT JAZZ führte. (Die Musikstücke wurden aus rechtlichen Gründen gekürzt.)
  2. Beschriftungen von Rundfunk-Archivbändern
  3. Das Plattencover der 1964 aufgenommenen AMIGA-LP „Solarius“
  4. Noten-Publikation der „Solarius“-LP im Verlag „VEB LIED DER ZEIT“
  5. Das 2009 in der edition jazzgorillas / german jazz erschienene Buch „Clarinet Bird“ von Maxi Sickert
  6. Foto Rolf Kühn & Ulf Drechsel; C: Carsten Kampf

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